Wer bestimmt den Preis einer Versicherung? Wie wird die Auszahlung einer Lebensversicherung garantiert über die jahrzehntelange Laufzeit? 

Wie funktioniert ein Telematik-Tarif bei der Kfz-Versicherung, bei der eine risikoarme Fahrweise zu günstigeren Tarifen führt? 

Solche Innovationen planen Aktuar*innen. Bei ihren Berechnungen und Modellierungen kommt modernste IT-Software zum Einsatz.. Sie haben die Anforderungen der Menschen und Märkte, die Rechenwege der IT und die juristischen Rahmenbedingungen im Blick. 

Herz der Versicherer

Aktuar*innen sind das „Herz des Versicherers“,  sagt Dr. Guido Bader in unserem Gespräch am 16.09.2020. Seit 2009 ist er im Vorstand der Deutschen Aktuarvereinigung (DAV) und seit 2019 der Vorstandsvorsitzende. Seine Begeisterung für den Beruf strahlt durch die Telefonleitung: „Aktuar ist der beste Beruf, weil er sehr sehr umfangreiche Gestaltungsmöglichkeiten bietet. Die Arbeit ist viel kreativer als viele Menschen denken. Er bietet große Perspektiven und er ist viel mehr als Mathematik.

Platz 7 beim Einkommen

Der Beruf steht in der Top 10 der bestbezahlten Berufe und bietet starke Karrieremöglichkeiten. Häufig haben Aktuar*innen Positionen im Vorstand von Versicherungen. Aktuar*innen arbeiten außerdem in Banken, Krankenkassen, für Rentenversicherungen, in der BaFin Aufsicht, bei Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und in Ministerien. Aktuare sind Expert*innen, die mit mathe­matischen Methoden der Wahr­schein­lich­keits­theorie und der Wahr­schein­lich­keits­theorie und der Statistik finanzielle Un­sicher­heiten in den Bereichen Ver­sicherung, Bau­sparen, Kapital­anlage und Alters­versorgung bewerten.

Sie sind die Fürsprecher*innen der Versicherten. Auch deshalb ist die wachsende Diversität wichtig. 45 Prozent Frauen sind unter den Aktuar*innen bis 35 Jahre – noch dominieren allerdings Männer diesen Beruf. Der Altersdurchschnitt in der Branche sinkt. Das sind positive Entwicklungen, denn Aktuar*innen bereiten wichtige Entscheidungen vor, die uns alle betreffen.

Verbraucherschützer des Kollektivs

Sie berechnen Zukunft und „sind Verbraucherschützer des Kollektivs.“, sagt Dr. Guido Bader – rechts im Bild.

Die gesetzlichen Verpflichtungen sind eine zentrale Vorgabe der Aktuar*innen. Sie sind gesetzlich verpflichtet, im Sinne der Kund*innen zu handeln. Werden Überschüsse erwirtschaftet, sorgen Aktuar*innen dafür, dass das Kollektiv der Versicherten davon profitiert. Die Prognosen und Berechnungen umspannen dabei bis zu 100 Jahre. Schauen wir mal 100 Jahre zurück, was seit 1920 alles Unerwartetes passiert ist. Das ist gigantisch.

Die DAV ist ein berufständischer Verein mit rund 5.600 Mitgliedern zuständig für Standesregeln, Aus- und Weiterbildung. Aktuar*innen kalkulieren den Schaden auf Basis einer präzisen und rechtssicheren Beschreibung des Risikos im Rahmen der Versicherungsbedingungen und Risikobeschreibungen. Juristische Kenntnisse gehören zu der Ausbildung.

Regelmäßige Weiterbildungen werden von der DAV angeboten, um fachlich am Ball zu bleiben. Die permanente Weiterbildung ist Teil des Jobs. Über 100.000 Stunden Weiterbildung pro Jahr werden von Aktuar*innen in Deutschland geleistet.

Mathematik, Pragmatismus, Kommunikation

Der Beruf Aktuar*in in drei Worten: „Mathematik, Pragmatismus, Kommunikation.“, sagt Dr. Gero Nießen, Senior Director bei Willis Towers Watson, auf der Nachwuchsplattform der DAV. Die kommunikativen Fertigkeiten untermauert auch Herr Dr. Bader: „Aktuar*innen lernen, die zentralen Themen intern zu vermitteln in Gremien bis hin zu Vertriebsschulungen.“ 

Die Ausbildung zum Aktuar beginnt nach einem Studium der Mathematik oder Physik. Auch Quereinsteiger sind willkommen, wenn sie mathematische Kenntnisse mitbringen.

Das ehrenamtliche Engagement der Aktuar*innen in der DAV ist enorm: 40.000 Stunden ehrenamtliche Arbeit und 600 Aktuar*innen arbeiten in ehrenamtlichen Gremien. Gemeinsam mit der Partnervereinigung DGVFM arbeitet die DAV eng mit Schulen und Hochschulen zusammen.

Nachwuchssorgen

Dieser Artikel hatte mich neugierig gemacht: „Wir spüren schon heute einen Mangel an qualifizierten Mathematikern„, sagte der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Aktuarvereinigung. Nach seinen Schätzungen besteht aktuell ein Bedarf an 2000 bis 3000 Versicherungsmathematikern.“ 

Die neue Stellenbörse wirkt da naheliegend. Sie erreicht allerdings nur Aktuar*innen, die jetzt eine Stelle suchen. Sie erhöht nicht die Basis an Menschen, die Aktuar*innen werden. Also besteht die Herausforderungen, mehr Mathematiker*innen für die berufsbegleitende Aktuars-Ausbildung zu gewinnen. 

Statista zählt 2011 knapp 25.000 sozialversicherungspflichtig beschäftigte Physiker, Physikingenieure und Mathematiker in Deutschland. In einer anderen Zählung von 2014 gehören 15.000 Personen in die Berufsgruppe „Mathematik und Statistik“. Dass davon 5.600 Menschen als Aktuar*innen arbeiten, zeigt die Bedeutung dieser Karriere für Mathematiker*innen. 2019/2020 gibt es 72 889 Studierende der Mathematik, die meisten studieren Mathematik als Nebenfach zum Beispiel auf Lehramt. 

Mathematiker*innen kennen Mathematiker*innen

Dass Mathematiker*innen andere Mathematiker*innen kennen, ist nicht nur wahrscheinlich, sondern sonnenklar. Die Challenge heißt, Mathematiker*innen und Studierende der Mathematik gezielt anzusprechen, ihre Kolleg*innen und Kommiliton*innen für den Beruf des Aktuars zu gewinnen. So werden am wahrscheinlichsten die gesuchten 2.000 bis 3.000 Versicherungsmathematiker*innen gefunden – zusätzlich zu den laufenden Aktivitäten in Schulen und Hochschulen.

In diesem Sinne: „Wir rechnen mit der Zukunft.“ Ich danke Frau Arnold, der stellvertretenden Pressesprecherin der DAV, und Herrn Dr. Bader für unser Gespräch.

Alle Bilder in diesem Artikel © Deutsche Aktuarvereinigung (DAV) e.V.